THE TIME OF DISTANCE
19. April - 10. Mai 2008
(Gruppenausstellung)



„Die Städte der Welt sind konzentrisch, isomorph und synchron. Nur eine existiert und man befindet sich immer in derselben"
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxJean Baudrillard

Die Großstadt wurde schon oft als Sinnbild für das Konzept von Gleichzeitigkeit benutzt: von den zahlreichen Fäden mit denen James Joyce die Lebensgeschichten seiner Protagonisten im Treiben von Dublin verknüpft bis zu Kurt Tucholskys gedanklichen Sprung vom Frühstück auf der Köpenickerstrasse in Berlin in eine mexikanische Stierkampf Arena. Die Absurdität und gleichzeitige Selbstverständlichkeit der Parallelität von Ereignissen zweier Städte sind der Ausgangspunkt von The Time of Distance. Die Ausstellung möchte dieses Phänomen in zwei kulturellen Zentren der Verbindung und der Trennung auf die Spitze treiben. In Berlin und Helsinki werden die Ereignisse bewusst zur selben Zeit ablaufen: Die gleichen urbanen Mythen werden von Marktschreiern verkündet, Filme zeitgleich abgespielt und identische Texte performativ parallel vorgetragen.

Die partizipierenden KünstlerInnen Tea Mäkipää, Linda Franke, Laura Horelli & Anu Pennanen, Robert Mathy, Christiane Frey, Patrick Jambon, Ailsa Ferrier, Mari Keski-Korsu, Julia Prezewowsky, Morten Dysgaard, Sonya Schönberger, Sanni Priha, Henna & Elina Vainio beschäftigen sich in ihren Arbeiten auf ganz unterschiedliche Weise mit Phänomenen der Gleichzeitigkeit: Die Relativität von Nähe und Distanz und der Versuch der Überwindung von Raum und Zeit in seiner kulturellen, sozialen und politischen Bedeutung. Was bedeutet Zeitgenossenschaft, was Simultanität von Ereignissen in unterschiedlichen urbanen Kontexten? Performative Installation und Video bzw. Film sind die am häufigsten in dieser Ausstellung vertretenen Medien. Sowohl für das Performative, als auch den Film ist das Moment der Gleichzeitigkeit, die unmittelbare Beziehung von Raum und Zeit Bedingung des Mediums selbst.

Die finnische Künstlerin Tea Mäkipää, die erst kürzlich in der Ausstellung Neue Heimat in der Berlinischen Galerie zu sehen war, zeigt ihren jüngsten Film My life as a Reindeer. Die Natur dokumentiert sich hier selbst – mit der Kamera um den Hals wandert das Renntier durch die Sümpfe Lapplands und ist so gleichzeitig Kameramann und Regisseur. My life as a Reindeer bietet dem urbanen Publikum die Chance das Leben aus der Perspektive eines finnischen Renntiers zu sehen.

Der junge Multimediakünstler Robert Marty verwendet in seiner Videoarbeit Vibration (2007) Sendematerial eines Skiabfahrtslaufs des ORF. Beim Übereinanderlegen der Abfahrtsläufe aller Skirennfahrer offenbart sich durch die immer gleiche Kameraeinstellung wie sich die Körper der Skifahrer nahezu synchron den Berg hinunter bewegen. In der Überlagerung scheinen sich die Körper in ihrer Masse aufzulösen, wie auch das Geräusch der Skier auf dem Schnee und die Kommentare der Moderatoren zu einem monotonen Rauschen verschwimmen.

In Julia Prezewowsky’s Arbeit Declarations-Monument for Nonsense (2008) wird die Skulptur, ein überzeichnetes Rednerpult, das im Mittelpunkt dieser Arbeit steht, eine Woche lang zum Schauplatz für eine sich wiederholende Performance, die in beiden Städten identisch verläuft. Tag für Tag werden von dem Pult urbane Mythen, Gerüchte und Klatsch öffentlich verkündet und autorisiert. Der lächerliche Versuch Mythen zu verifizieren, macht darauf aufmerksam, wie an der Chronologie einer Erzählung und dem Glauben an diese Mythen festgehalten wird.

Die Filmarbeiten von Morten Dysgaard erforschen die kulturelle Identität und ihre mehrschichtigen Repräsentationssysteme. Durch das stetige Hinterfragen der individuellen Identitätskonstrukte seiner Protagonisten zwingt er den Betrachter, sich die eigenen Werte, Perspektiven und kulturellen Bedingtheiten bewusst zu machen. Immer wieder ereignet sich im Plot eine unerwartete alles in Frage stellende Wende, schlüpfen die Protagonisten in die Rolle ihres Gegenübers. Dysgaards neuster Film Spiral of gazes (2008) beschreibt das Spannungsfeld und den Widerspruch zwischen der Verortung in kultureller Identität und globalem Leben. Zwei Phänomene, die immer zur selben Zeit Bestand haben. Stereotype Bilder vom "christlichen Westen" und dem "muslimischen Nahen Osten" werden aufgebrochen. Das Medium Film ermöglicht hier, das Ferne ganz nah heran zu holen und das einem trügerisch so Nahe, weit weg zu rücken.

Für ihre Soundcollage haben Laura Horelli und Anu Pennanen zahlreiche Einwohner Helsinkis von Berlin aus angerufen und diese aufgefordert, den Blick aus ihrem Fenster zu beschreiben, sowie ihre persönlichen, beruflichen oder philosophischen Vorstellungen der Zukunft zu schildern. Während die BesucherInnen nun in Berlin aus dem Fenster blicken, können sie den Impressionen aus einer anderen Stadt lauschen. Die Arbeit beschäftigt sich mit der individuellen Wahrnehmung und stellt gleichzeitig die Frage: was ist global – was lokal?

Die Britische Künstlerin Ailsa Ferrier wird während der Ausstellung nach Gotland reisen, was geografische genau in der Mitte zwischen Berlin und Helsinki liegt, um dort einsam eine Performance mit dem Titel OB SKENE zu machen und ihre Rolle als globaler Außenseiter zu reflektieren. In Berlin und Helsinki wird OB SKENE in Form eines Textes präsent sein.

In ihrer Arbeit Keine Zeit für einszweidrei spielt die deutsche Künstlerin Sonya Schönberger auf die Vorurteile an, die aus Unwissenheit und Trägheit entstehen und nur schwer wieder ausgeräumt werden können.
Was findet man, wenn man sich mittels Internet über die vorherrschenden Stereotypen von „Finnen“ und „Deutschen“, das Selbst und den Anderen informiert? Das mit Text versehene Objekt eines Tellers, verweist auf die Frage, wie diese Informationen konsumiert, wie mit diesem Wissen umgegangen werden sollte?

Küchenballerina (2008) ist der Titel der jüngsten Arbeit der Performance- und Videokünstlerin Christiane Frey. Während sich die Ballerina bemüht, zur Musik des “Sterbenden Schwans” aus Tschaikowskys Schwanensee, eine Küchenzeile entlang zu tanzen, bereiten sich verschiedene Dinge wie von Zauberhand selbst zu: Ein Wasserkocher kommt zum Sieden, ein Drink mixt sich, eine Spühlmaschine bestückt sich selbst und in einer Pfanne brät ein “Strammer Max”.
Das Pathos des Ballettstücks wird durch die stümperhafte tänzerische Ausführung und die Banalität der alltäglichen Szenerie bewußt konterkarriert und erhält eine parodistische Note. Der Akt der Disziplinierung und der zum Scheitern verurteile Versuch allen Anforderungen gleichzeitig gerecht zu weden, kann hier als ein Augenzwinkern über Unantastbares, stereotype Geschlechterbilderkritik und Zeitgeistigkeit verstanden werden.

Die Performancekünstlerin Linda Franke, arbeitet in ihrem Medium in einer ungewöhnlich sinnlich-erzählerischen Weise, die auf eine große Vertrautheit mit der Bildsprache von surrealer Malerei und einer fantastisch-skurrilen Filmwelt verweist. Für The Time of Distance wird Linda ein Bild von ihrer Performance in Helsinki malen noch bevor diese geschieht und die Erinnerung an das Bild als Drehbuch verwenden. Das Bild wird in Berlin ausgestellt werden und die Performance live via Web übertragen.

Die Zwillinge Henna&Elina Vainio werden ihre an einen Allan Kaprow Text angelehnte, zweigeteilte Installation Odd Sympathy vorstellen. Jeweils eine Hälfte der formalisierten häuslichen Szene wird in der einen Stadt zu sehen sein, während die andere Hälfte via Webstream live aus der anderen Stadt übertragen wird. Mit dieser Studie über Symmetrie und Asymmetrie, Equivalenz und Gleichheit haben Henna und Elina Vainio eine zweigeteilte Bühne geschaffen, die durch ein bildliches Spiel und Interaktion verbunden ist.

Da der kulturelle Austausch im Mittelpunkt der Ereignisse steht, entschloss sich Transidency, eine zweiwöchige Residenz in Berlin für eine/n der finnische/n KünstlerInnen zu ermöglichen. Diese Residenz wurde an die Videokünstlerin Mari Keski-Korsu vergeben.

Im Herbst 2005 fiel der Künstlerin etwas Seltsames auf ihrem Berliner Stadtplan auf: sie entdeckte das Wort „Mega" - gekennzeichnet mit einem kleinen Pfeil – mitten auf einer undefinierbaren größeren Brachfläche auf der Karte. Als sich sie sich auf den Weg machte, um „Mega" auf den Grund zu gehen, fand sie an der Stelle tatsächlich ein leeres Feld vor. Daraufhin schrieb sie den Kartographen, um diese darauf aufmerksam zu machen. „Mega" entpuppte sich als Druckfehler auf der Karte, dem keine Bedeutung zukommt. Seither sucht Mari Keski-Korsu nach weiteren fälschlichen oder deplazierten „Megas", und wird jenes „Mega" durch ihre Anwesenheit und Intervention auf dem Feld in Berlin manifestieren und dieses in Form einer Videodokumentation der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Wie oft muss ein Film gesehen werden, um vollständig in seine fiktive Welt einzutauchen? Wie lange ist es möglich sich aktiv und bewußt in zwei Welten zu bewegen? Die "Mulholland Dr.- Marathon - Performance" von Sanni Priha untersucht, welchen Einfluss die fortwährende Wiederholung des Films - Mulholland Drive von David Lynch - bei gleichzeitiger permanenter Bewegung auf die Wahrnehmung von Wirklichkeit hat.

--------------- English version --------------------


THE TIME OF DISTANCE 19 April - 10 May 2008
(group exhibition)



‘The cities of the world are concentric, isomorphic, synchronic. Only one exists and you are always in the same one.’ xxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxx x Jean Baudrillard

The city is often used as a metaphor for the concept of simultaneity – from James Joyce’s multiple life threads in Dublin; to Tucholsky’s leap from a breakfast table in Berlin into a Mexican Bullfight arena. The Time of Distance begins with two cities, Berlin and Helsinki, two hubs of connections and disconnections.
In these cities the events will be scheduled to run like clock-work. Urban myths will be declared by faux town-criers at exactly the same time, in the same moment film reels will be played at parallel speeds and art-theorists will no doubt mouth identical words…

The participating artists include: Tea Mäkipää, Linda Franke, Laura Horelli & Anu Pennanen, Robert Mathy, Christiane Frey, Patrick Jambon, Ailsa Ferrier, Mari Keski-Korsu, Julia Prezewowsky, Morten Dysgaard, Sonya Schönberger, Sanni Priha, Henna & Elina Vainio. These artists deal with the phenomena of simultaneity in a variety of ways: the relativity of closeness and distance as well as the attempt to understand time and space in its cultural, social and political meaning. What does ‘contemporary’ mean today and what do simultaneous events in different urban contexts signify? Performative installations, video and film are the predominant mediums in the exhibition, as simultaneity and the imminent relationship of time and space are the inbuilt conditions of these mediums.

Tea Mäkipää, who recently exhibited in Neue Heimat at the Berlinische Galerie, will premier her film My life as a Reindeer in Berlin. In Mäkipää’s film nature provides its own documentary: the reindeer, with camera attached, wanders through the forests and swamps of Finnish Lapland and gives an urban audience a chance to see life from a reindeer’s perspective.

In his video work Vibration (2007), the young multi-media artist Robert Mathy uses previously televised footage of a downhill ski-slalom in a unique manner. Taken from the television channel ORF, he superimposes each skier's downhill run on top of one another. The repeating camera positions show that the skiers zig-zag down the mountain virtually synchronously, and the bodies of the slaloming skiers dissolve into one mass. The noise of the skiers and the television commentary blur as they are overlaid, becoming one monotonous hissing noise without a definite relation to space or time.

In Julia Prezewowsky’s piece, Declarations – Monument for Nonsense (2008), an exaggerated speech podium is transformed into a platform for a week long repeated performance. In both Helsinki and Berlin a performance will take place at exactly the same time, during which urban myths, gossip and rumours will be publicly declared and authorised. The piece undertakes the absurd attempt to synchronise the two performances and certify the myths, as well as drawing attention to our desire for chronology and truth in these tales.

Morten Dysgaard’s films explore cultural identities and their various forms and systems of representation. Through a continuous questioning of the way the protagonists construct their individual identity, he forces the viewers to face their own judgements and preconceptions. Over and over again the plot consists of a turning point where protagonists and antagonist swap sides. Dysgaard’s new film Spiral of gazes (2008) looks at the tension arising between cultural roots and global life. Two phenomenon, which have always co-existed-the stereotype picture of the ‘Christian western world’ and the ‘Moslem middle east’ – are overcome. The medium film enables to bring what has felt very far intimately close and remove what has felt deceivingly close before.

For their sound collage Laura Horelli and Anu Pennanen have recorded several phone calls between themselves and citizens of Helsinki. The artists asked the receiver of each phone call to describe the scene outside their window, as well as their personal, professional or philosophical projections for the future. As FIELD’s visitors in Berlin gaze out of the gallery window, they will listen to impressions of another city; this work deals with individual perception and asks the question: what is global and what is local?

The British artist Ailsa Ferrier, working with the concept of ‘the eternal outsider’ will travel to Gotland –a Swedish isle, which lies geographically between Berlin and Helsinki. During the opening evenings, she will hold her own solitary performance, titled: OB SKENE, which will be made visible to the audience by a text piece in the gallery.

In her work Keine Zeit für einszweidrei (No Time for onetwothree) the German artist Sonya Schönberger plays with persisting preconceptions arising from ignorance and laziness. What does one find on the internet when looking for preconceived stereotypes of ‘Finns’ and ‘Germans’, depicted as both ‘self’ and as ‘the other’? The text inscribed plate questions how one can consume and deal with this information.

Küchenballerina (2008) is the title of the latest work by video artist Christiane Frey. Whilst the ballerina tries to dance to Tschaikowsky’s Swan lake, along her kitchenette several things prepare themselves in magical ways: a kettle starts boiling, a drink mixes itself, a dishwasher fills itself up and in the pan eggs and bacon sizzle. The clumsy physical performance of the ballerina and the mundainity of a domestic scene deliberately contradict the pathos of the ballet and lend the piece the character of a parody. The attempt to discipline oneself and to fulfil all expectations at once, or to multi-task is doomed to fail, which can be read both as a sneer about untouchable stereotypical gender criticism and Zeitgeist.

The performance artist Linda Franke works in an unusually sensual way and construes a narrative which reveals her affinity to surrealist paintings and a fantastically bizarre world of film images. For The Time of Distance Linda will paint a picture of her performance before it takes place in Helsinki, and will use her memories of the painting as a script for the performance. The painting will be exhibited in Berlin and the performance will be web-streamed from Helsinki.

Finnish twins, Henna & Elina Vainio, will show their split installation Odd Sympathy, based on a text by Alan Kaprow. One half of a formalised domestic scene exists in each gallery, with the missing half web-streamed live to the opposing city. A study of symmetry and asymmetry, equivalences and equals, Henna and Elina have created two interactive stages that share the same chronology.

As cultural exchange is an integral part of these events, Transidency are providing the opportunity for one talented Finnish artist to live and work in Berlin two weeks prior to the show. The chosen residency artist is Mari Keski-Korsu.
In autumn 2005, Mari noticed something strange on a map of Berlin. The word Mega, with an arrow pointing straight into what looked, on the map, to be the middle of nowhere. Mari visited the location of Mega to find simply an empty patch of field. She wrote to the map makers, to discover that it was a cartographer’s mistake – a misplaced shopping centre, perhaps. Since then, Mari has been searching for other fake Mega’s and during her residency she will be creating her very own version.

Over a period of nine days a research laboratory will be set up to investigate the possibilities to transfer our body/mind into a world of fiction film. Sanni Priha has developed an extensive film viewing method in which one is subjected to a film repeatedly for a significant amount of time. In this particular (pseudo-)scientific research, the test subject is exposed to the film Mulholland Drive by David Lynch. Is it possible for one to exist in two places, the 'real' and the fictive one at the same time? Can we split the conscious mind, as it, the mind, as well as our body into two, in order to reach another world?